Ausführungsgesetz überarbeitet: NRW reformiert Jugendhilfe-Strukturen Was Einrichtungen und Dienste jetzt über die Änderungen im AG-KJHG wissen müssen

Publikum

Der nordrhein-westfälische Landtag hat am 4. Juni 2025 weitreichende Änderungen am AG‑KJHG beschlossen, die für Einrichtungen und Dienste der Kinder‑ und Jugendhilfe erhebliche Auswirkungen haben. Insbesondere geht es darum, Abläufe zu straffen, Beteiligung zu stärken und Zuständigkeiten klarer zu regeln – eine gute Gelegenheit, Prozesse zu überdenken und praxistauglich zu optimieren. Das Gesetz ist am Tag nach der Verkündung in Kraft getreten.

Ein besonders kritischer Punkt im Zusammenhang mit den aktuellen Gesetzesänderungen betrifft kleine familienähnliche, erwerbsmäßige Betreuungsformen. Durch die gesetzliche Klarstellung im Rahmen der Reform wird nun explizit festgelegt, dass solche Angebote nur noch als erlaubnispflichtige Einrichtungen nach § 45a SGB VIII gelten, wenn ein Träger Aufgaben wie Leitung, pädagogische Steuerung, Fachaufsicht sowie die komplette Personalverantwortung einschließlich Auswahl, Überwachung und Vertretung übernimmt. Neu ist, dass diese Strukturvorgaben durch das Landesrecht nun verbindlicher und enger gefasst werden, was die bisherigen Interpretationsspielräume deutlich einschränkt. In der Praxis führt das dazu, dass die Betriebserlaubnis entfällt, wenn das Landesjugendamt zu der Einschätzung kommt, dass keine hinreichende Selbstständigkeit mehr gegeben ist. Mit dem Wegfall der Betriebserlaubnis entfällt auch der Anspruch auf Entgeltzahlung. Für viele dieser kleinen und oft über Jahre gewachsenen, gut integrierten Betreuungssettings bedeutet das de facto ein mögliches wirtschaftliches Aus.

Erschwerend kommt hinzu, dass mit der Neuregelung auch eine verbindliche Definition des Fachkräfteeinsatzes in Einrichtungen mit Betreuung über Tag und Nacht erfolgt. Nur pädagogische oder therapeutische Fachkräfte mit staatlicher Anerkennung oder gleichwertiger Qualifikation gelten grundsätzlich als geeignet. Weitere Personen können nur auf Antrag durch das Landesjugendamt als Zusatzkräfte zugelassen werden – mit Auflagen. Das führt u.E. zu einem Spannungsfeld zwischen Gesetz und gerichtlicher Praxis, das in der Folge zu erheblicher Rechtsunsicherheit für Träger und Einrichtungsleitungen führt. Wer Personal gewinnen oder langfristig halten will, braucht Planungssicherheit und die ist unter diesen Voraussetzungen derzeit kaum gegeben.

Ein zentraler weiterer Punkt betrifft erstmals kreisangehörige Gemeinden. Diese können künftig unter Bedingungen bei der obersten Landesjugendbehörde beantragen, dass die bisherige Festlegung zum örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe aufgehoben wird. In der Praxis heißt das, wenn Gemeinden in den Kinder‑ und Jugendförderprogrammen eigenverantwortlicher handeln wollen, könnten sie sich von bisherigen Zuständigkeiten lösen – etwa um flexiblere Angebote zu schaffen oder eigene Förderwege zu öffnen. Wichtig ist, dass klare Kriterien dafür definiert werden – etwa eine erprobte Sachlage, ein gut dokumentiertes Konzept und die Zustimmung der Kreisverwaltung.

Der Jugendhilfeausschuss gewinnt an Vielfalt. Neben den bisherigen Akteuren sollen örtliche Jugendringe und Jugendselbstvertretungen als beratende Mitglieder teilnehmen. Das stärkt die Partizipation junger Menschen, bringt ihre Perspektiven direkt ein und erhöht Akzeptanz. Damit das gelingt, sollten Einrichtungen darauf vorbereitet sein, junge Menschen mit geeigneten Formaten in Sitzungen einzubinden, z. B. im Rahmen von Jugendforen oder Beteiligungsworkshops, in denen Erfahrungen gesammelt und Rückmeldungen systematisch eingebracht werden.

Zugleich wird im Landesjugendhilfeausschuss die Vertretung des Landeselternbeirates verbindlich vorgeschrieben, ein Gewinn für die fachliche Diskussion. Elternkompetenz wird damit institutionalisiert. Dienste können im Vorfeld Elternvertreter aktiv einladen, kurze Workshops anbieten oder Fragebögen verteilen, um deren Anliegen frühzeitig zu erfassen – und so die Zusammenarbeit mit dem Elternbeirat strukturiert vorzubereiten.

In der Vollzeitpflege gibt es weitere gezielte Anpassungen. Unklarheiten bei Erlaubnis und Untersagung des Betriebes sollen beseitigt werden. Das betrifft insbesondere Standards zur Eignung und zur Qualitätssicherung. Einrichtungen und Dienste sollten jetzt ihre Pflege-Netzwerke prüfen, Kriterien schriftlich festhalten und Abläufe für Erlaubnis- beziehungsweise Widerrufsentscheidungen nachhaltig gestalten, idealerweise flankiert durch ein Prüf- und Sanktionskonzept, das Verwaltungswege, Zustandserhebungen und Fachgespräche klar regelt.

Ein spannendes neues Feld sind überregionale und regionale Ombudsstellen. Diese Sonderstellen sollen unabhängig agieren und verbindlich Ansprechpartner für Konfliktfälle sein. Einrichtungen und Dienste müssen überlegen, wie sie die Zuständigkeit (regional vs. überregional) abstecken, Mitarbeitende informieren und Meldemechanismen einbinden. Eine Info‑Mappe oder ein digitaler Kanal zur Meldung könnte hier hilfreich sein, etwa als Ergänzung zur bestehenden Beschwerdesteuerung.

Für unbegleitete minderjährige Ausländer fällt die doppelte Meldepflicht weg. Die Erstmeldung bei der Landesstelle NRW entfällt. Künftig reicht die umfangreichere Mitteilung innerhalb von sieben Tagen nach dem Erst‑Screening. Das reduziert Bürokratie, aber auch den Druck, Fristen doppelt im Blick zu behalten. Einrichtungen und Dienste sollten ihre Meldeprozesse neu sortieren, Zuständigkeiten klarer regeln und IT‑Systeme so anpassen, dass die sieben‑Tage‑Frist zuverlässig abgebildet wird. Ein automatischer Workflow, der interne Prüfungen und Erinnerungen anstößt, wäre sehr sinnvoll.

Insgesamt bedeutet das neue Gesetz weniger Bürokratie, mehr Mitwirkung, klarere Standards, aber auch offene Fragen und neue Unsicherheiten. Damit Einrichtungen und Dienste wirklich profitieren, braucht es nicht nur Gesetzestreue, sondern vor allem gute Konzepte, klare Kommunikation und eine Portion Beharrlichkeit im Umgang mit widersprüchlichen Regelungen.

Hier finden Sie das neue AG-KJHG zum Download.