Jetzt mal Klartext Zeit für echte Lösungen statt populärer Kürzungsrhetorik

Bundeskanzler Friedrich Merz hat es beim Deutschen Kommunalkongress in Berlin ziemlich klar und gefällig formuliert: Die jährlichen Steigerungen der Ausgaben in der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Eingliederungshilfe – teils bis zu zehn Prozent – seien so nicht länger akzeptabel. Und weiter: Man müsse Wege finden, die sowohl den Bedarfen der Betroffenen als auch der Leistungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte gerecht werden. Klingt nach haushaltspolitischer Vernunft, ist aber bei näherem Hinsehen ein gefährlicher Einstieg in eine Schieflage der Debatte. Denn wer steigende Kosten als zentrales Problem aufruft, ohne die dahinterliegenden Entwicklungen zu benennen, lenkt vom eigentlichen Thema ab: den realen gesellschaftlichen Veränderungen, die den steigenden Hilfebedarf begründen – und der Frage, wie wir klug und solidarisch damit umgehen.

Was in der Politik aktuell als Kostenproblem verhandelt wird, ist in Wirklichkeit ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen, wachsender Bedarfe und zugleich ein Resultat jahrelanger Versäumnisse in der Steuerung und Prävention. Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe stehen seit Jahren unter Druck, mit immer komplexeren Fällen umzugehen, während gleichzeitig die strukturellen und finanziellen Ressourcen vielerorts nicht mitgewachsen sind. Der wachsende Hilfebedarf kommt nicht von ungefähr: Die allgemeine Zunahme von Gewalt, familiären Belastungssituationen, psychischen Erkrankungen und prekären Lebensverhältnissen sind zentrale Treiber. Wer diesen Zusammenhang ausklammert, tut so, als seien die Kosten aus dem Nichts gestiegen – das ist realitätsfern und wird den Betroffenen nicht gerecht.

Wenn jetzt reflexartig über Einsparungen oder eine „effizientere“ Steuerung nachgedacht wird, ohne die Fachpraxis einzubeziehen, dann droht die Diskussion zur Farce zu werden. Dabei geht es nicht darum, Kostensteigerungen schönzureden. Es ist selbstverständlich legitim und notwendig, über die Mittelverwendung zu sprechen. Aber eben differenziert und auf Augenhöhe. Statt Haushaltslogik gegen Teilhabeanspruch auszuspielen, braucht es kluge Modelle, die beides zusammenbringen. Es braucht eine echte gemeinsame Anstrengung, wie auch Merz selbst andeutet – nur bitte mit mehr Substanz als plakativen Aussagen.

In der Praxis gibt es bereits viele Ansätze, wie Hilfesysteme effizienter, zielgerichteter und nachhaltiger gestaltet werden können. Ein Beispiel ist die konsequente Implementierung von Hilfeplanverfahren, die nicht nur formale Pflichterfüllung sind, sondern fachlich fundiert, partizipativ und ressourcenorientiert geführt werden. Wenn Hilfeverläufe besser prognostiziert und gesteuert werden, können Überversorgung ebenso vermieden werden wie teure Fehleinschätzungen. Auch die regionale Steuerung über sozialraumorientierte Netzwerke und kooperative Fallkonferenzen bietet Potenzial – vorausgesetzt, die Beteiligten verfügen über Handlungsspielräume und sind nicht nur als Erfüllungsgehilfen einer Sparagenda eingebunden.

Ein weiteres Feld mit großem Hebel ist die Verzahnung von Leistungen. Noch immer arbeiten Jugendhilfe, Eingliederungshilfe, Schule, Gesundheitssystem und Arbeitsförderung vielfach nebeneinander her. Da hat auch das KJSG nicht viel geändert. Schnittstellen kosten nicht nur Nerven, sondern auch Geld. Wenn beispielsweise Hilfen zur Erziehung frühzeitig mit schulischer Förderung oder psychosozialer Unterstützung verknüpft werden, lassen sich langfristig deutlich stabilere Entwicklungsverläufe erzielen. Wer an dieser Stelle investiert, spart später nicht nur Kosten – er oder sie ermöglicht Biografien mit mehr Chancen und weniger Abhängigkeiten.

Und dann ist da noch die Frage der Fachlichkeit. Einrichtungen und Dienste sehen sich zunehmend mit einem Fachkräftemangel konfrontiert, der qualitative Standards gefährdet und die Fallzahlen je Fachkraft nach oben treibt. Auch das wirkt sich auf die Kosten aus – vor allem, wenn es dadurch zu mehr Kriseneinsätzen, stationären Maßnahmen oder Abbrüchen kommt. Statt also reflexartig an der Kostenschraube zu drehen, wäre es sinnvoller, in die Attraktivität der Berufe, gute Ausbildung und verlässliche Arbeitsbedingungen zu investieren.

Natürlich kann man fordern, dass nicht „auf Dauer zehn Prozent Steigerung“ drin sind. Man kann sich aber auch fragen, warum diese Steigerungen überhaupt nötig geworden sind. Und ob nicht ein strategischer Blick auf die Steuerung, Kooperation und Qualität der Hilfen langfristig wirksamer wäre als ein kurzfristiger Appell zur Sparsamkeit. Wer wirklich Verantwortung übernehmen will, der muss genau hier ansetzen – nicht bei den Schwächsten, sondern bei den strukturellen Hebeln.