
„Alles wird besser!“ – das war das Versprechen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG). Mehr Selbstbestimmung, weniger Bürokratie, bessere Teilhabe. Die Realität? Leistungserbringer jonglieren mit noch mehr Papierkram, die Finanzierung bleibt ein Flickenteppich und am Ende zahlt niemand gerne die Rechnung. Jetzt liegen endlich die beiden großen Berichte zur Umsetzung und den finanziellen Auswirkungen des BTHG vor – und sie zeigen deutlich, woran es hakt.
Die Wirkungsprognose untersucht die bisherige Praxis und Wirkung der ersten drei Reformstufen des BTHG. Methodisch umfasst die Studie zwei Bestandteile: eine Implementationsanalyse, die die Auswirkungen auf die Verwaltung und die Praxis der Leistungserbringung beleuchtet, sowie eine prozessbegleitende Befragung von Leistungsbeziehenden der Eingliederungshilfe, um die Auswirkungen des BTHG auf deren gesellschaftliche Teilhabe zu analysieren (BMAS, Forschungsbericht 657).
Parallel dazu zeigt die Finanzuntersuchung, welche finanziellen Folgen das BTHG für Länder und Kommunen hat. Nach Artikel 25 Absatz 4 BTHG wurden sechs zentrale Themenbereiche überprüft: die verbesserte Einkommens- und Vermögensanrechnung, die Einführung des Budgets für Arbeit und anderer Leistungsanbieter, neue Leistungskataloge für soziale Teilhabe und Bildung, die Trennung von Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen, die Einführung neuer Planungsverfahren sowie die Implementierung von Frauenbeauftragten in Werkstätten für behinderte Menschen. Dabei wurden sowohl finanzielle Entlastungen als auch Belastungen für die Träger der Eingliederungshilfe und der Grundsicherung berechnet und mit den ursprünglichen Kostenschätzungen aus dem Gesetzgebungsverfahren verglichen. Während die Hauptuntersuchung zwischen 2018 und 2022 lief, wurde sie in den Jahren 2023 und 2024 mit Fokus auf bestimmte Themen weitergeführt, um die tatsächliche Entwicklung der Umsetzung nachzuvollziehen (BMAS, Forschungsbericht 656).
Was bedeutet das nun für die Praxis? Das BTHG sollte die Eingliederungshilfe revolutionieren, mehr Selbstbestimmung für Leistungsbeziehende ermöglichen und die Trennung von Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen durchsetzen. Was bleibt, ist eine Mischung aus Bürokratie-Chaos, unklaren Finanzierungsstrukturen und jede Menge Frust bei den Leistungserbringern. Während die Politik das Gesetz als großen Fortschritt feiert, kämpfen Einrichtungen und Dienste mit der Umsetzung. Denn eines ist klar: Mehr Teilhabe kostet mehr Geld – nur will es niemand zahlen.
Die Reform hat in vielen Bereichen der Eingliederungshilfe einen massiven Umbruch ausgelöst. Besonders die neuen Verfahren zur Bedarfsermittlung und Gesamtplanung stellen sich in der Praxis oft als extrem aufwendig dar. Statt einfach nur Leistungen zu gewähren, müssen nun hochdetaillierte Teilhabepläne erstellt werden, die den individuellen Bedarf exakt erfassen. An sich eine gute Idee, doch in der Realität bedeutet das für viele Leistungserbringer eine Flut von zusätzlichen Dokumentationspflichten, langwierige Verhandlungen mit den Kostenträgern und oft unklare Zuständigkeiten. Die Klient*innen sind häufig mit den komplexen Verfahren überfordert, während die Mitarbeitenden in den Einrichtungen mehr Zeit mit Papierkram als mit tatsächlicher Unterstützung verbringen.
Ein weiteres großes Problem ist die Finanzierung. Die Vorgabe, dass die Reform „budgetneutral“ umgesetzt werden soll, sorgt für Kopfschütteln. Mehr Personenzentrierung, mehr Mitbestimmung, mehr Angebote – aber ohne zusätzliches Geld? Das passt vorne und hinten nicht zusammen. Die Vergütungsverhandlungen ziehen sich endlos, denn die Leistungsträger wollen sparen, während die Leistungserbringer nach einer realistischen Finanzierung rufen. Und während auf dem Papier alles schöner und besser aussieht, platzen die Einrichtungen aus allen Nähten, weil sie den zusätzlichen Verwaltungsaufwand kaum noch bewältigen können.
Besonders absurd wird es, wenn man sich die Trennung von Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen anschaut. Menschen mit Behinderung, die in besonderen Wohnformen leben, müssen nun Miete zahlen, Grundsicherung beantragen und sich um die Abwicklung ihrer Kosten selbst kümmern. Das führt nicht nur zu enormen Unsicherheiten, sondern auch zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand – für die Betroffenen und die Einrichtungen gleichermaßen. Die versprochene größere Selbstbestimmung kommt in vielen Fällen nicht an, weil es an passenden Unterstützungsstrukturen fehlt.
Dazu kommt der Fachkräftemangel, der die Umsetzung der BTHG-Reformen zusätzlich erschwert. Die Anforderungen steigen, aber es gibt schlichtweg nicht genug qualifiziertes Personal, um den Bedarf zu decken. Die neuen Verfahren erfordern intensive Beratung, Begleitung und Dokumentation – doch wer soll das machen? Viele Einrichtungen arbeiten schon jetzt am Limit, und neue Fachkräfte lassen sich unter diesen Bedingungen kaum gewinnen.
Fazit: Das BTHG bringt viele gute Ansätze mit, aber die Umsetzung läuft für die Leistungserbringer katastrophal. Die Reform wurde auf den Weg gebracht, ohne sicherzustellen, dass die finanziellen und personellen Ressourcen überhaupt ausreichen. Während die Politik von Fortschritten spricht, sieht die Realität in den Einrichtungen anders aus: Mehr Bürokratie, weniger Zeit für die eigentliche Arbeit und ständig neue Unsicherheiten in der Finanzierung.
Besonders pikant: Es sind vor allem die Träger der Eingliederungshilfe selbst, die den Fortschritt verhindern. Verhandlungen über Leistungsvereinbarungen ziehen sich in die Länge, weil viele Träger eine möglichst „kostenneutrale“ Umsetzung durchdrücken wollen. Das bedeutet im Klartext: Mehr Bürokratie, aber keine besseren Leistungen für die Menschen, um die es eigentlich geht. Wer wirklich Teilhabe ermöglichen will, muss sich endlich von dieser Blockadehaltung verabschieden – sonst bleibt das BTHG ein Bürokratiemonster ohne echten Mehrwert.
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