
Die Träger der Eingliederungshilfe haben es geschafft, die BTHG-Reform so weit zu verlangsamen, dass viele Neuerungen in der Praxis nicht ankommen. Das jedenfalls zeigt uns die brandneue Studie von infas „Untersuchung der Ausführung sowie der absehbaren Wirkungen der neuen Regelungen der Eingliederungshilfe nach Art. 25 Abs. 2 BTHG (Wirkungsprognose)“, durchgeführt vom infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH, liegt nun vor. Sie sollte klären, ob die große Reform der Eingliederungshilfe tatsächlich mehr Selbstbestimmung und Teilhabe gebracht hat. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Das BTHG ist in der Praxis weitgehend zahnlos, weil viele Träger der Eingliederungshilfe die neuen Regeln entweder gar nicht verstehen, nicht umsetzen oder bewusst ignorieren.
Statt ein modernes, effizientes System zu schaffen, haben viele Träger der Eingliederungshilfe es sich in ihrer eigenen Bürokratie bequem gemacht. Sie diktieren weiter die Spielregeln, obwohl das Gesetz längst eine andere Richtung vorgibt. Besonders deutlich wird das am Beispiel der rückwirkenden Vereinbarungen zu Leistung und Entgelt. Diese sind nach geltendem Recht unzulässig – und trotzdem Alltag. Warum? Weil die Träger der Eingliederungshilfe nicht in der Lage sind, innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen 12 Wochen eine Vereinbarung mit den Leistungserbringern zu treffen. Und weil es niemanden interessiert, wenn sie das Gesetz brechen.
Aber machen wir es doch mal ganz konkret: Wenn eine Privatperson oder ein Unternehmen wissentlich Gelder entgegen aller Vorschriften rückwirkend auszahlt, nennt man das Veruntreuung oder Untreue – und das ist strafbar (§ 266 StGB). Doch wenn Entscheider in der Verwaltung der Eingliederungshilfe jahrelang entgegen der gesetzlichen Vorgaben öffentliche Gelder verteilen, passiert… nichts. Kein Staatsanwalt interessiert sich dafür, kein Aufsichtsorgan schreitet ein. Offensichtlich gelten für die öffentliche Verwaltung andere Maßstäbe.
Die Untersuchung zeigt, dass sich an dieser Grundhaltung seit der Einführung des BTHG kaum etwas geändert hat. Gesamtplankonferenzen dauern ewig, das Wunsch- und Wahlrecht wird ausgebremst, und wer sich als Leistungserbringer oder Betroffener gegen die Verwaltung stemmt, braucht einen langen Atem. Die Träger der Eingliederungshilfe haben es geschafft, die Reform so weit zu verlangsamen, dass viele Neuerungen in der Praxis nicht ankommen.
Das Budget für Arbeit ist ein weiteres Beispiel. Eigentlich sollte es Menschen mit Behinderungen den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtern. Doch die Untersuchung macht klar: In der Realität wird es kaum genutzt. Unternehmen haben kaum Informationen, die bürokratischen Hürden sind enorm, und viele potenzielle Nutzende haben Angst, finanzielle Nachteile zu erleiden. Gleichzeitig wird den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) vorgeworfen, den Wechsel der Beschäftigten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt aus Eigeninteresse verhindern zu wollen, weil sie ihre besten Beschäftigten nicht verlieren wollen.
Finanziell sieht es ebenfalls düster aus. Die Studie zeigt, dass Träger der Eingliederungshilfe weiterhin riesige Summen rückwirkend auszahlen – ein klarer Rechtsverstoß. Aber warum sollte man sich um gesetzliche Vorgaben scheren, wenn es keinerlei Konsequenzen gibt? Wenn öffentliche Gelder über Jahre nach Gutdünken verteilt werden können, ist es kein Wunder, dass sich niemand ernsthaft um die Umsetzung des BTHG bemüht.
Das Fazit der Studie ist eindeutig: Das BTHG scheitert nicht an den Leistungserbringern oder den Betroffenen, sondern an den Trägern der Eingliederungshilfe selbst. Die Reform wurde m.E. sabotiert, gesetzliche Vorgaben werden ignoriert, und manche Verwaltungskräfte scheinen sich in einem rechtsfreien Raum zu bewegen. Doch die entscheidende Frage bleibt: Wann wird endlich jemand für diese Missstände zur Rechenschaft gezogen? Oder bleibt es dabei, dass man sich als Entscheider in der Eingliederungshilfe Dinge erlauben darf, für die jeder Unternehmer längst vor Gericht stünde?
Die Studie (166 Seiten) finden Sie hier zum Download: https://t1p.de/j5n7t
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