Digital und raus bist du? Was KI mit sozialen Berufen macht Was passiert, wenn KI bei der Hilfeplanung mitdenkt

Stecker und Kupplung

Während in der Kreativwirtschaft und im Finanzsektor bereits intensiv über die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz diskutiert wird, bleibt es in der Sozialwirtschaft noch erstaunlich ruhig. Dabei liegen mittlerweile ziemlich handfeste Daten auf dem Tisch, die zeigen, wie groß die Veränderungen sein könnten – und wie unterschätzt die Bedrohung in manchen Bereichen ist. Eine aktuelle Studie des indischen Ökonomen Ajit Singh bringt es ziemlich direkt auf den Punkt: Mit jedem Prozentpunkt, den das Automatisierungspotenzial durch generative KI in einem Sektor steigt, sind durchschnittlich 15.000 Arbeitsplätze gefährdet. Besonders hart trifft das kreative Berufe – aber auch soziale Berufe sind davon betroffen, vor allem da, wo Dokumentation, Berichtswesen und standardisierte Planungsprozesse zunehmend digitalisiert werden.

Die Studie zeigt noch etwas anderes: Es gibt einen klaren „Wahrnehmungskonflikt“. Singh konnte nachweisen, dass gerade dort, wo das Risiko durch KI besonders hoch ist, die Bedrohung oft unterschätzt wird. In Zahlen: Der Zusammenhang zwischen wahrgenommener und tatsächlicher Gefährdung liegt bei einem Korrelationswert von gerade mal -0,109. Anders gesagt – viele denken, sie seien nicht betroffen, obwohl es sie ziemlich bald treffen könnte. Genau das scheint in der Sozialwirtschaft aktuell zu passieren. Während andere Branchen schon konkrete Strategien zur KI-Nutzung und zum Schutz von Arbeitsplätzen entwickeln, herrscht im sozialen Bereich oft noch die Haltung: „Das betrifft uns doch nicht.“

Dabei sind die Anwendungsfelder von generativer KI längst angekommen. Hilfepläne, die automatisiert auf Basis von Eingabedaten erstellt werden. Tools, die Berichte formulieren oder Muster in Fallverläufen erkennen. Chatbots, die Elternanfragen beantworten. Klingt erstmal effizient – und kann es auch sein. Aber gleichzeitig stellen sich viele Fragen, die in der Studie von Singh nur gestreift werden, in der sozialen Praxis aber voll durchschlagen: Wer verantwortet Entscheidungen, wenn KI involviert ist? Wie wird verhindert, dass diskriminierende Muster in Datensätzen sich auf die Auswahl oder Bewertung von Klient*innen auswirken? Und wie können Einrichtungen sicherstellen, dass Fachlichkeit nicht durch Technik ersetzt, sondern ergänzt wird?

Ein weiteres großes Thema in der Studie ist das Urheberrecht und die Frage nach der Autorschaft bei KI-generierten Inhalten. Auch das betrifft soziale Einrichtungen zunehmend, etwa wenn es um interne Weiterbildungen, Informationsmaterial oder medienpädagogische Projekte geht. Wenn KI hier Inhalte auf Basis fremder Quellen erstellt – wem gehören diese eigentlich? Und wie transparent ist das Ganze gegenüber Klient*innen, Fachkräften und Trägern?

Was die Studie besonders klar herausstellt, ist der politische Handlungsbedarf. Singh schlägt drei konkrete Schritte vor: gezielte Weiterbildungs- und Umschulungsprogramme, eine stärkere Operationalisierung bestehender ethischer Leitlinien auf europäischer Ebene und einen offenen Diskurs über die gesellschaftliche Rolle von KI. Genau das lässt sich auf die Sozialwirtschaft übertragen. Einrichtungen und Dienste sollten jetzt eigene Fortbildungsoffensiven starten – nicht nur technikzentriert, sondern mit Fokus auf ethische Reflexion, professionelle Haltung und den Erhalt fachlicher Standards. Außerdem braucht es praxisnahe Leitlinien, wie KI im Alltag eingesetzt werden darf – und wo sie nichts zu suchen hat.

Ein gutes Beispiel wäre die Hilfeplanung. Ja, KI kann unterstützen, Daten sortieren oder Formulierungshilfen geben. Aber die Entscheidung, welche Hilfe wirklich notwendig ist, welche Ressourcen aktiviert werden können und wie das Ganze umgesetzt wird – das bleibt menschlich. Oder sollte es zumindest bleiben. Genau hier liegt der Knackpunkt: Wenn Einrichtungen nicht selbstbewusst definieren, welche Rolle KI bei ihnen spielen darf, wird diese Entscheidung womöglich anderswo getroffen – vom Softwareanbieter, vom Kostenträger oder von der öffentlichen Meinung.

Was aus der Studie deutlich wird: Es geht nicht nur um Technik. Es geht um Macht, Verantwortung und Gerechtigkeit. Wenn KI-Systeme mitentscheiden, wer welche Unterstützung bekommt oder wie pädagogischer Erfolg gemessen wird, müssen Fachkräfte die Hoheit über diese Prozesse behalten. Deshalb braucht es dringend Diskursräume in der Praxis – Teamsitzungen, Fachtage, Workshops –, in denen das Thema KI nicht nur als Innovation, sondern auch als Herausforderung verhandelt wird.

Wer also glaubt, das Thema könne man erstmal noch schieben, sollte einen Blick auf die Zahlen werfen, die Ajit Singh vorgelegt hat. Die Veränderungen sind real, die Risiken messbar – und das Zeitfenster zum aktiven Gestalten schließt sich schneller, als man denkt. Einrichtungen der Sozialwirtschaft tun gut daran, jetzt Haltung zu zeigen. Nicht technikfeindlich, aber kritisch. Nicht abwartend, sondern gestaltend. Nicht allein, sondern im Austausch – mit Fachkräften, mit Betroffenen, mit der Politik.

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  • Energiekrise: Pixabay