Bauen Sie sich lieber Ihren eigenen Schutzschirm! Absicherungsmaßnahmen und Entgeltverhandlungen in Zeiten der COVID-19 Pandemie für Einrichtungen und Dienste in der Kinder- und Jugendhilfe

Bauen Sie sich lieber Ihren eigenen Schutzschirm! Absicherungsmaßnahmen und Entgeltverhandlungen in Zeiten der COVID-19 Pandemie für Einrichtungen und Dienste in der Kinder- und Jugendhilfe. 

Das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) wird den Einrichtungen und Diensten der Kinder- und Jugendhilfe leider nicht weiterhelfen. Die Einführung von Kurzarbeit ist mit erheblichen strafrechtlichen Risiken für Leistungserbringer verbunden. Daher müssen jetzt schnellstmöglich neue Entgeltanpassungen durch Neuverhandlung vorgenommen werden, die deutliche Gewinnaufschläge beinhalten, damit die Träger der Kinder- und Jugendhilfe eine Betriebsmittelrücklage aufbauen können, damit sie zukünftig krisenunabhängiger ihre Leistungen gegenüber dem anspruchsberechtigen Bürgern versehen können und zwar unabhängig von der jeweiligen Kassenlage des Öffentlichen Trägers.

Fordern Sie das für Sie zuständige Jugendamt schriftlich auf, Sie unabhängig vom SodEG zu unterstützen. Viele vorbildliche Jugendämter machen das, viele andere leider nicht. Falls es Zusagen geben sollte, lassen Sie sich diese bitte zu ihrer Absicht schriftlich geben. Überprüfen und beantragen Sie die Neuverhandlung Ihrer Leistungsentgelte für die teilstationären und stationären Bereiche (am besten noch heute) neu und beziehen Sie sich auf den § 78 d (3) SGB VIII.

Die COVID-19 – Pandemie hat in kürzester Zeit bei einem Großteil der sozialwirtschaftlichen Unternehmen für Auftragseinbrüche und Betriebsstillegungen gesorgt. Das Bundeskabinett hat wohl auch aus diesem Grunde am 23.03.2020 beschlossen, die Arbeit der gemeinnützigen Träger unter den Schutz des Corona-Rettungsschirms zu stellen.

Das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) wurde im Bundesministerium für Arbeit und Soziale (BMAS) mit heißer Nadel gestrickt und regelt die Voraussetzungen für die Gewährung von Zuschüssen an Einrichtungen und soziale Dienste zur Bekämpfung der Corona-Krise. Voraussetzung für eine Unterstützung nach dem SodEG ist, dass der freie Träger sich bereit erklärt, seine Ressourcen zur Bewältigung der Corona-Krise zur Verfügung zu stellen.

Die Bundesregierung unterstützt mit dem SodEG nicht nur gemeinnützige Träger, sondern ohne Ausnahme auch gewerbliche Anbieter, wobei Leistungserbringer in den Bereichen des SGB V (Krankenkassen) und SGB XI (Pflegekassen) ausgeschlossen wurden. Insbesondere Bildungsträger, Jugendherbergen, Familienferienstätten, Begegnungsstätten erhalten aber keine Unterstützung durch das SodEG.

Der Zuschuss über das SodEG berücksichtigt ausdrücklich nicht (!) den pandemiebedingten Mehraufwand auf Seiten der Leistungserbringer.

Somit werden zum Beispiel situationsbedingte Mehrkosten für Schutzausrüstungen, verdachtsbasierte Corona-Schnelltestungen, zusätzliche Desinfektionsmaßnahmen, betriebliche Pandemieplanung gemäß Arbeitsschutzgesetz, vorbereitende Quarantänemaßnahmen, Inanspruchnahme von Sicherheitsdiensten, Videokonferenzen bzw. WebMeeting-Systeme, Home-Office-Aufwendungen, erhöhte Personalausgaben, beispielsweise durch vorübergehend eingestelltes Fremdpersonal oder durch Mehrarbeitsstunden und Personalaufstockung innerhalb der Einrichtungen und Dienste, usw. nicht über das SodEG erstattet. Hierzu später mehr…

Nach dem SodEG erhalten sozialwirtschaftliche Unternehmen zur Sicherstellung der sozialen Infrastruktur auf Antrag einen Zuschuss in Höhe von 75 Prozent der bisherigen durchschnittlichen Einnahmen. Warum nur 75 Prozent? Im BMAS ist man bei der Erarbeitung des SodEG davon ausgegangen, dass die angeschlagenen sozialwirtschaftlichen Unternehmen durch verschiedene Steuerungsmaßnahmen Kosten einsparen können, wie etwa Reduktion der Personalkosten oder durch Einführung von Kurzarbeit. Weiterhin ist man davon ausgegangen, dass nicht alle Bereiche bzw. Abteilungen bei den Sozialen Trägern gleichermaßen von der Coronakrise betroffen sein werden. Daher hat man sich auf einen Zuschuss in Höhe von 75 Prozent verständigt. Die SodEG-Zuschüsse müssen bei den Leistungsträgern beantragt werden. Sie werden durch Bescheid oder Vertrag bewilligt. Drei Monate nach der letzten Zuschusszahlung sind die Leistungsträger berechtigt, eine Spitzabrechnung vorzunehmen, in der geprüft wird, ob und inwieweit es zu Doppelzahlungen gekommen ist.

Um Rückzahlungsforderungen zu vermeiden müssen Sie aktuell davon ausgehen, dass die Zuschüsse aus dem SodEG nachrangig zu behandeln sind, auch wenn es noch hier unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt. Sozialwirtschaftliche Unternehmen sollen in jedem Fall zuerst andere Unterstützungsmöglichkeiten, wie etwa Entschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz, Kurzarbeitergeld oder Zuschüsse des Bundes und der Länder in Anspruch nehmen. Erst danach greift ein Zuschuss über das SodEG.

Einige Öffentliche Träger, weisen derzeit in ihren E-Mails an notleidende sozialwirtschaftliche Träger darauf hin, „(…) dass die Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen einschließlich Kurzarbeitergeld eine Grundbedingung dafür ist, dass Zuschüsse überhaupt in Betracht kommen können.“ Nachtrag (17.04.2020): Das ist definitiv falsch. Eine rein rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit, durch Kurzarbeit Ersparnisse zu realisieren, ist für die Berechnung einer Erstattung irrelevant. Es dürfen keine fiktiven Einnahmen/Ersparnisse angerechnet werden. Relevant ist dabei der tatsächliche Mittelzufluss. Es wird von Dienstleistern nicht erwartet, dass sie sich vor der Inanspruchnahme der Sozialschutz -Zuschüsse aktiv um alle möglichen vorrangigen Mittel bemühen.

Wenn Zuschüsse nach dem SodEG oder aufgrund der getroffenen Dringlichkeitsentscheidung beantragt werden sollen und die Voraussetzungen für Kurzarbeit erfüllt seien, sei es daher wichtig, Kurzarbeit anzumelden. Einige Jugendämter vertreten weiterhin, so wie ich es verstehe, die Meinung, dass durch die Coronakrise gebeutelte Träger Ihre Ausgaben zunächst reduzieren müssen. Unter Kostendeckung sei auch nicht automatisch eine Finanzierung bestehender Kosten zu verstehen. Kostendeckung könne auch heißen, die Kosten an die zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen anzupassen. Kurzarbeit und die Beantragung von Kurzarbeitergeld seien dafür ein Beispiel:

„(…) Auch wenn die Erbringung sozialer Dienstleistungen ohne Zweifel einen sehr hohen Stellenwert hat, muss bei alledem aber auch berücksichtigt werden, dass derzeit viele Unternehmen in anderen (ebenfalls wichtigen) Tätigkeitsfeldern Kurzarbeitergeld beantragen. Um hier nicht zu einer gravierenden „Schieflage“ zu kommen, war das vermutlich auch handlungsleitend bei der Formulierung des SodEG – und es hat auch eine Rolle gespielt bei der getroffenen Dringlichkeitsentscheidung.“

Das heißt dann wohl, bevor sozialwirtschaftliche Unternehmen einen Antrag auf SodEG-Zuschuss stellen, müssen sie in jedem Fall Kurzarbeit beantragen. Das ist natürlich nicht ganz einfach, wenn man sich das mal am Beispiel eines ambulanten Jugendhilfedienstes vor Augen führt. Hier brechen seit Beginn der Krise, aus den unterschiedlichsten Gründen, viele Betreuungen weg. Das führt dazu, dass Leistungserbringer mit dem vorhandenen Personalmengengerüst nicht auskömmlich arbeiten können. Vielerorts dürfen zwar telefonische Beratungen oder Beratungen über Videokonferenzsystem durchgeführt werden. Diese können allerdings i.d.R. (d.h. nicht bei allen Jugendämtern) nicht voll abgerechnet werden. Da kommen dann häufig nur 10 Minuten anstatt der sonst üblichen 60 Minuten in den Leistungserbringungsnachweis. Das führten dann zu schlechten Realisierungsquoten, die dann über kurz oder lang zu einer finanziellen Schieflage des Trägers führen können.

Nun raten also einige Jugendämter (nicht alle…) den sozialwirtschaftlichen Trägern zur Kurzarbeit. So weit sind wir also schon gekommen. Ein Skandal!

Ich habe hier im IJOSBLOG vor kurzem auf eine Warnung von Thomas Fischbach, dem Präsidenten der deutschen Kinder- und Jugendärzte (Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte) hingewiesen. Dieser geht in der aktuellen Corona-Krise von einer Zunahme häuslicher Gewalt aus. Gerade weil Kitas und Schulen geschlossen seien, stünden Familien vor besonderen Herausforderungen. Besonders Kinder von Eltern, die schon unter normalen Bedingungen nervlich an der Grenze seien, seien jetzt besonders gefährdet. Fischbach sagte, Eltern, die sich überfordert fühlten, sollten frühzeitig Hilfe suchen. Er rät Betroffenen, Angebote der Wohlfahrtsverbände zu nutzen oder das Jugendamt um Unterstützung zu bitten (Quelle: SWR).

Nun soll also Kurzarbeit das erste Mittel der Wahl für sozialwirtschaftlicher Träger sein. Doch die Beantragung von Kurzarbeitergeld ist mit erheblichen Risiken verbunden.

Durch das am 14. März 2020 in Kraft getretenen Gesetz zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung ermächtigt, die für Kurzarbeit geltenden gesetzlichen Regelungen zu ändern. Eine Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld wurde damit erleichtert. Im Vergleich zur bisherigen Rechtslage müssen nur 10 Prozent (statt wie bisher ein Drittel) der Beschäftigten im Betrieb vom Arbeitsausfall betroffen sein.

Hier ein Auszug aus dem Antragsformular der Agentur für Arbeit: „Ergeben die Feststellungen der Agentur für Arbeit, dass strafrechtlich relevante Aspekte zu einer Leistungsüberzahlung geführt haben, wird Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet.“

Strafbar machen können Sie sich insbesondere im Zusammenhang mit Kurzarbeit immer dann, wenn Sie als Antragsteller gegen die Ihnen obliegenden Prüfungs-, Erkundigungs-, Informations- oder Aufsichtspflichten verstoßen. Vor Beantragung von Kurzarbeit müssen dann auch noch Überstunden abgefeiert werden. Überstunden, die den Umfang von zehn Prozent der ohne Mehrarbeit geschuldeten Jahresarbeitszeit nicht überschreiten, müssen in jedem Fall eingebracht werden. Somit können sozialwirtschaftliche Träger nicht einfach Kurzarbeit beantragen.

Wir halten also fest: Das SodEG wird den Einrichtungen und Diensten der Kinder- und Jugendhilfe nicht weiterhelfen.

Ich habe gemeinsam mit meinem Kollegen, Herrn Prof. Dr. Florian Gerlach ein ca. 110-minütiges Webinar zum Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SodEG) durchgeführt.
Das Webinar war mit mehr als 450 Anmeldungen ein voller Erfolg. Für alle, die nicht dabei sein konnten besteht nun die Möglichkeit, sich das Webinar auf  ijos-learning.net kostenfrei anzusehen. Hier kommen Sie direkt zum Webinar.

Meine Empfehlung zum weiteren Vorgehen:

Prüfen Sie schnellstmöglich die finanziellen Auswirkungen der COVID-19 – Pandemie auf Ihre Einrichtungen und Dienste.

Analysieren und verschriftlichen Sie den situationsbedingten Mehraufwand. Hier ein paar Beispiele: 

  • Schutzausrüstungen (z.B. Schutzkleidung, Schürzen, FFP2 und FFP3 – Masken etc.)
  • verdachtsbasierte Corona-Schnelltestungen
  • Desinfektionsmaßnahmen
  • Höherer Beratungs- und Betreuungsaufwand durch Betriebsarzt
  • Zusätzlicher Zeitaufwand (Pandemiekoordinator)
  • Personalüberbesetzungen, wenn Mitarbeitende in Quarantäne sind oder wegen Covid-19 krank sind
  • zusätzlicher Einsatz von Zeitarbeit
  • betriebliche Pandemieplanung gemäß Arbeitsschutzgesetz
  • vorbereitende Quarantänemaßnahmen
  • Inanspruchnahme von Sicherheitsdiensten
  • Videokonferenzen bzw. WebMeeting-Systeme
  • Home-Office-Aufwendungen und Erstattungen an Mitarbeitende im Home-Office
  • erhöhte Personalausgaben
  • zusätzlicher Fahrdienst
  • Mehrkosten durch aufwendigere Reinigung in den Wohnbereichen
  • zusätzlicher technischer Aufwand (Personal- und Sachkosten)
  • erhöhter IT-Aufwand durch Bereitstellung von Home-Office-Arbeitsplätzen
  • erhöhter Datenschutzaufwand
  • erhöhter Administrationsaufwand aufgrund Restriktionen im Lebensmittelhandel

Nutzen Sie Ihre Buchführung/Kostenrechnung und richten Sie sofort für alle Zusatzkosten eine neuen Kostenstelle „Covid-19“ möglichst als Hilfskostenstelle ein. Veranlassen Sie, dass alle Covid-19-bedingten Mehrkosten auf die neue Kostenstelle und dann auch im Rahmen der Kostenstellenrechnung verbucht werden, so dass später eine verursachungsgerechte Zuordnung der Kosten auf die stationären, teilstationären und ambulanten Leistungsbereiche nachweisbar ist.

Verschriftlichen Sie weiterhin die durch die COVID-19 – Pandemie bedingten zusätzlich erforderlichen Leistungen und erweitern Sie Ihre Fachkonzepte und Ihre Leistungsbeschreibungen genau um diese Punkte. Der Einfachheit halber sollten Sie eine Anlage zur Leistungsbeschreibung mit tabellarischen Inhalten erstellen.

Fordern Sie das für Sie zuständige Jugendamt schriftlich auf, Sie unabhängig vom SodEG zu unterstützen. Viele vorbildliche Jugendämter machen das, viele andere leider nicht. Falls es Zusagen geben sollte, lassen Sie sich diese bitte zu ihrer Absicht schriftlich geben.

Überprüfen und beantragen Sie die Neuverhandlung Ihrer Leistungsentgelte für die teilstationären und stationären Bereiche (am besten noch heute) neu und beziehen Sie sich auf den § 78 d (3) SGB VIII.

Sollten Sie im teilstationären und stationären Bereich aufgrund der Krise in eine Schieflage geraten sein, oder sollten Sie merken, dass Sie krisenbedingt höhere Kosten als ursprünglich geplant haben, so sollten Sie unbedingt gemäß § 78 d (3) SGB VIII das Jugendamt zur Neuverhandlung der Leistungsentgelte aufrufen. Dies ist immer dann möglich, wenn unvorhersehbare wesentliche Veränderungen der Annahmen vorliegen, die Ihrer aktuellen Entgeltvereinbarung zugrunde lagen. Da sollte die COVID-19 – Pandemie in jedem Fall als Grund ausreichen.

Im Rahmen der neu zu beantragenden Leistungsentgelte wird es notwendig sein, Gewinne durchgehend für alle Leistungsangebote konsequent einzupreisen, damit wenigstens mittelfristig Rücklagen gebildet werden können, um zukünftigen Krisen besser begegnen zu können.

Ich empfehle Ihnen, sich vor Antragstellung von einem Spezialisten beraten zu lassen. Anfragen richten Sie bitte an info(at)ijos.net

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  • rain-1514257_640: pixabay