Urteil zum Verdacht der Scheinselbständigkeit in der Jugendhilfe

Das Verwaltungsgericht Münster hat mit Urteil vom 9. Juli 2013 (Az. 6 K 1698/12) Aussagen getätigt zum Themenbereich: Auflagen zur Betriebserlaubnis, Verdacht der Schein-Selbstständigkeit freier Mitarbeiter…

Kernaussage:  Es ist nicht Aufgabe des Landesjugendamtes dafür Sorge zu tragen, das die Mitarbeitenden des Trägers einer betriebserlaubnispflichtigen Einrichtung einen abgesicherten arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Status haben oder dass der Träger seinen sozialversicherungsrechtlichen Pflichten nachkommt!

Zum Fall: Der Kläger ist freier Träger der Jugendhilfe mit Sitz in Düsseldorf. Im März 2012 erteilte ihm der beklagte Landschaftsverband Westfalen-Lippe die Betriebserlaubnis für ein Jugendhilfeprojekt in Versmold. Das Projekt wird von freien Mitarbeitern betreut, die auf Honorarbasis arbeiten. Mit der Betriebserlaubnis erteilte der Landschaftsverband dem Kläger die Auflage, für die eingesetzten Mitarbeiter das sozialversicherungsrechtliche Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung durchzuführen. Zur Begründung gab der Landschaftsverband im Wesentlichen an: Es sei fraglich, ob bei den Mitarbeitern die Voraussetzungen einer selbstständigen Tätigkeit erfüllt seien. Würde erst später festgestellt, dass es sich um Scheinselbständige handele, wäre dies mit Risiken für die betreuten Jugendlichen verbunden, indem es zum Beispiel zu Personalfluktuationen und umfangreichen Nachzahlungen etwa für Sozialversicherungsbeiträge kommen könnte, die den Weiterbetrieb der Einrichtung gefährdeten. Demgegenüber hält der Kläger die Auflage für rechtswidrig. Er ist unter anderem der Auffassung, der Beklagte versuche, mit der Auflage die Forderung nach angestellten Mitarbeitern durchzusetzen. Es sei jedoch nicht Sache des Landesjugendamts, den Status der Mitarbeiter zu beurteilen. Die behauptete Gefährdung des Wohls der betreuten Jugendlichen bestehe nicht.

Im aktuellen Newsletter (27.09.2013) des LVR ist folgendes zum Urteil zu lesen:

“Das Verwaltungsgericht Münster folgte im Wesentlichen den Ansichten des Klägers. Der Erlaubnisvorbehalt nach § 45 SGB VIII habe die alleinige Funktion, das staatliche Wächteramt zur Abwehr von Gefahren für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten. Aufgabe des Staates sei es nicht, optimale Bedingungen der Betreuung oder Unterkunft zu gewährleisten, sondern die Einhaltung eines Mindeststandards sicherzustellen. Zwar gehe der Kläger mit seiner Ansicht zu weit, eine Auflage zur Betriebserlaubnis sei erst im Falle einer “konkreten Gefahr” für das Wohl von Kindern und Jugendlichen zulässig. Vielmehr dürfe im Falle einer konkreten Gefahr die Betriebserlaubnis nach § 42 Abs. 2 SGB VIII gar nicht erst erteilt werden. Jedoch sei für die Erteilung einer Auflage ein “konkreter Anlass” erforderlich.

Die Begründung einer Auflage nach § 42 Abs. 4 SGB VIII müsse deutlich über eine bloße Spekulation hinausgehen. Einen hinreichend konkreten Anlass habe die Beklagte zur Begründung ihrer Auflage aber nicht vorgetragen. Das Bestehen der befürchteten Gefahr für das Wohl der betreuten Jugendlichen, weil erhebliche Nachzahlungen an die Sozialversicherungsträger in dem Falle drohten, dass diese nachträglich feststellen könnten, dass die Honorarkräfte Scheinselbstständige, was zu Personalfluktuationen oder der Insolvenz des Trägers führen könnte, sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Die Befürchtung beruhe – so das Gericht sinngemäß – auf einer Kette von Unwägbarkeiten, für die keine hinreichend konkreten Tatsachen erkennbar seien. Unerheblich sei, wie wahrscheinlich es ist, ob die Mitarbeiter des Klägers in der Tat Scheinselbstständige sind. Es sei nicht Aufgabe des Beklagten, dafür Sorge zu tragen, das die Mitarbeiter des Trägers einer betriebserlaubnispflichtigen Einrichtung einen abgesicherten arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Status haben oder dass der Träger seinen sozialversicherungsrechtlichen Pflichten nachkomme.”

Quelle: Newsletter-Service des Landschaftsverbandes Rheinland, LVR-Dezernat Jugend, 50663 Köln, 27.09.2103