Back To The Roots? Werden Entgelte zukünftig wieder auf Landesebene verhandelt?

Seit längerer Zeit beobachte ich mit großem Interesse gewisse Dekommunalisierungstendenzen im Zusammenhang mit Vereinbarungen von Leistungsentgelten nach §§ 78 a – f SGB VIII. So bieten zum Beispiel die Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen oder der Bezirksverband Oldenburg in Niedersachsen den Kommunen kostenfreie Beratung im Kontext der Vertragsverhandlungen an. Dies in ganz unterschiedlichen Ausprägungen. In Oldenburg können die Jugendämter auf ein Full-Service-Angebot der “Zentralen Pflegesatzstelle Jugendhilfe” zurückgreifen. Angeboten werden Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Leistungs- und Entgeltverhandlungen. Das sieht dann so aus, dass fast alle Anträge der Region auf dem Schreibtisch einer Mitarbeiterin des Bezirksverbandes landen, fast so wie damals, in Zeiten des Selbstkostendeckungsprinzipes, als noch so ziemlich alle Leistungsentgelte auf Landesebene beantragt und vereinbart wurden. Hier das kpl. Leistungsangebot der Pflegesatzstelle des BVO:

  • Betriebswirtschaftliche Auswertung der Entgeltkalkulationen von Jugendhilfeeinrichtungen, die stationäre und teilstationäre Leistungen nach SGB VIII erbringen. Die Prüfung erfolgt unter Berücksichtigung der §§ 78 a – g SGB VIII i. V. m. dem Niedersächsischen Rahmenvertrag nach § 78 f SGB VIII.
  • Beurteilung von Leistungsbeschreibungen für Jugendhilfeangebote auf Plausibilität, Nachvollziehbarkeit und Angemessenheit unter Berücksichtigung der kalkulierten Entgelte.
  • Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Leistungs- und Entgeltverhandlungen.
  • Fachliche Beratung und Unterstützung der Jugendhilfeträger in unterschiedlichen Leistungs- und Entgeltangelegenheiten (z. B. Berechnung von Fachleistungsstunden, Mitwirkung bei Schiedsstellenverfahren etc.).

Die Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen (LVR und LWL) toppen nun das niedersächsische Angebot des BVO mit sportlicher Leichtigkeit. So bietet das Servicecenter Jugendhilfe des LWL den Jugendämter neben der Standard-Beratung in Entgeltfragen den folgenden Service:

  • Das Servicecenter Jugendhilfe verhandelt die Entgeltvereinbarung im Auftrage der Kommune (Interessenvertretung). D.h. der LWL unterschreibt (!) in der Ergebnisniederschrift für das verhandelte Entgelt; die Kommune unterschreibt für die Leistungs- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung.

Das sieht dann in der Tat so aus, dass man vom zuständigen örtlichen Öffentlichen Träger lediglich eine Mitteilung erhält, der man entnehmen kann, dass man bitte ab sofort nur noch mit dem Landschaftsverband kommunizieren und verhandeln möge. Dieser sei dann auch berechtigt, die Entgeltvereinbarung im Auftrag der Kommune zu unterzeichnen. D. h., die Kommune selbst lehnt die Verhandlung mit dem Anbieter ab.

Wenn Sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben, würde ich mich über eine kurze Information freuen. Mein Kollege Prof. Dr. Gerlach und ich, sind der Meinung, dass die Landschaftsverbände hier etwas tun, was nach dem Gesetz eigentlich jemand ganz anderes tun müsste. So ist in § 78 e SGB VIII eindeutig die Zuständigkeit des örtlichen Trägers der Öffentlichen Jugendhilfe definiert.

Da wir gerade in jüngster Vergangenheit feststellen mussten, dass die Landschaftsverbände in NRW zunehmend mehr Serviceverträge mit den Kommunen schliessen, haben wir die Problematik in einem laufenden Schiedsverfahren in Westfalen aufgegriffen. Zur Zeit warten wir mit grosser Spannung auf die Zusendung des Schiedsspruches.