Man hätte es kaum für möglich gehalten: In einer Zeit, in der die zerbrochene Ampelkoalition eher durch interne Zerwürfnisse als durch Einigkeit von sich reden macht, hat das Bundeskabinett tatsächlich einen weitreichenden Beschluss gefasst.
Das Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz (IKJHG) soll kommen – und damit eine Reform, auf die viele Familien und Fachleute seit über einem Jahrzehnt warten. Wer sich im Alltag mit den Hürden der bestehenden Systeme auseinandergesetzt hat, weiß, wie dringend notwendig dieser Schritt ist. Die Trennung der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderung von der allgemeinen Kinder- und Jugendhilfe hat über Jahre hinweg für Unübersichtlichkeit, Bürokratie und eine schier unendliche Geduld der Betroffenen gesorgt. Jetzt soll endlich Schluss sein mit Doppelstrukturen und endlosen Zuständigkeitsfragen.
Das IKJHG schafft die Grundlage, um Leistungen für alle Kinder und Jugendlichen unter einem Dach zu bündeln. Statt Familien von Amt zu Amt zu schicken, wird es künftig einen zentralen Ansprechpartner geben, der sie begleitet und ihre Anliegen koordiniert. Insbesondere die Einführung von Verfahrenslotsen ist ein wichtiger Schritt: Sie sollen nicht nur den Familien helfen, sondern auch Jugendämter bei der Weiterentwicklung inklusiver Angebote unterstützen. Das ist kein kleiner Wandel, sondern eine echte Umwälzung – und sie könnte tatsächlich funktionieren, weil alle Beteiligten Zeit bekommen, sich darauf einzustellen. Bis 2028 sollen die neuen Strukturen Schritt für Schritt aufgebaut werden.
Eine der spannendsten Neuerungen betrifft die Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen. Kostenfreie Assistenzleistungen ermöglichen es, dass diese jungen Menschen endlich genauso selbstverständlich an Sportvereinen, Ferienfreizeiten oder Musikgruppen teilnehmen können wie ihre Altersgenossen. Das eröffnet nicht nur neue Möglichkeiten für die Betroffenen selbst, sondern fordert auch die Einrichtungen und Dienste heraus, ihre Angebote barrierefrei und inklusiv zu gestalten. Dabei geht es nicht um ein „Nebenbei“, sondern um die bewusste Öffnung und Weiterentwicklung von Programmen – eine Aufgabe, die Kreativität und Sensibilität erfordert.
Doch wie sieht es mit der Umsetzbarkeit aus? Kritiker könnten einwenden, dass die bereits jetzt überlasteten Jugendämter kaum in der Lage sein werden, diese Mammutaufgabe zu stemmen. Hier hat der Gesetzgeber jedoch vorgesorgt: Durch den geplanten Einsatz von Verfahrenslotsen und eine schrittweise Einführung sollen Überforderungen vermieden werden. Außerdem ist ein klarer Auftrag an die Länder formuliert, inklusive Strukturen vor Ort zu schaffen – und das nicht aus der Portokasse, sondern mit finanzieller Unterstützung.
Was das IKJHG besonders bemerkenswert macht, ist, dass es von Anfang an die Perspektive der Betroffenen eingebunden hat. Rund 4.000 Akteure, darunter Kinder und Jugendliche selbst, haben den Prozess begleitet und wichtige Impulse gegeben. Diese Beteiligung macht deutlich, dass das Gesetz nicht nur von oben diktiert wurde, sondern tatsächlich praxisnah ist.
Dass dieses ambitionierte Vorhaben trotz der gegenwärtigen politischen Lage beschlossen wurde, darf durchaus überraschen.
Es zeigt, dass selbst in schwierigen Zeiten ein Fokus auf die dringendsten Themen möglich ist – wenn der politische Wille da ist. Für die Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe bedeutet das IKJHG eine große Herausforderung, aber auch die Chance, einen echten Unterschied zu machen. Wenn es gelingt, die neuen Strukturen mit Leben zu füllen, könnte diese Reform Vorbildcharakter für andere Bereiche der Sozialpolitik haben.
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